Die Spinozerebelläre Ataxie (SCA) und ich

Willkommen auf meinem persönlichen Blog.

Es geht hier um das praktische Leben mit einer absolut seltenen chronischen Erkrankung, der Spinozerebellären Ataxie (SCA), genauer um deren Subtyp 35, kurz SCA35. Es handelt sich um eine genetisch bedingte neurodegenerative Krankheit, also eine die mir als Betroffener bereits in die Wiege gelegt wurde, die sich aber erst im Laufe des Lebens allmählich bemerkbar machte. So habe ich lange von ihrer Existenz nichts gewusst.

Zunächst einmal möchte ich kurz erläutern, was eine Spinozerebelläre Ataxie ausmacht: Es handelt sich um eine Fehlfunktion des Kleinhirns und des Rückenmarks, so dass sensorische wie auch zeitkritische motorische Informationen nicht mehr in Echtzeit übermittelt werden, was zu Missempfindungen und Koordinationsstörungen der Arme und Beine führt, was dann Auswirkungen auf den Gang und die Geschicklichkeit hat. Auch Störungen der Augenmotorik, der Sprache, des Schluckens sowie Gleichgewichtsstörungen, Inkontinenz und Spastik sind typische Merkmale einer Ataxie.

Ataxien können auch durch äußere Schädigungen wie z.B. Alkoholmissbrauch, Umwelteinflüsse oder schwere Infektionkranheiten entstehen. Diese können aber durch entsprechende Therapien zum Teil wieder geheilt werden. Die genetisch bedingten Ataxien (hereditäre Ataxien oder Heredo-Ataxien) sind irreversibel und schreiten über die Zeit fort. Je nach Typ schneller oder langsamer. Auch der Zeitpunkt der Manifestierung der Krankheit ist je nach Typ unterschiedlich. Nicht alle Typen der SCA sind bis jetzt gründlich erforscht, weil sie einfach zu selten sind. Entsprechend gibt es auch keine Therapien, die eine Heilung versprechen. Da durch die SCA bedingte Störungen auch bei anderen Nervenerkrankungen vorkommen können, ist auch eine Diagnose schwierig und oft auch langwierig. Erst eine genetische Feststellung bringt die notwendige Gewissheit.

Wie hat sich die Erkrankung nun bei mir bemerkbar gemacht?

Als junger Mann war ich begeisterter Wanderer. Tagesstrecken von 30 bis 40 km waren für mich kein Problem. Dass ich eines Tages nur noch wenige Meter mehr schlecht als recht gehen können soll, kam in meinen Gedanken nicht vor. Ich wusste nichts von der Krankheit, die unbemerkt schleichend voranschreitend mein Leben verändern sollte.

Als ich Mitte 30 war passierte es immer häufiger, dass ich ohne konkreten Grund stolperte und stürzte. Das ging zwar lange Zeit immer glimpflich aus, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass da irgendetwas nicht in Ordnung war. Nur was nicht in Ordnung war, darauf konnte mir auch kein Arzt eine Antwort geben. Das ging lange Zeit so weiter, aber ich konnte, abgesehen von den gelegentlichen rätselhaften Stürzen, glücklicherweise mein Leben ohne weitere Beeinträchtigungen weiterleben.

Das änderte sich dann schlagartig im Alter von 51 Jahren, als ein Sturz zu einer schweren Verletzung meines linken Fußes führte, von der ich mich nur sehr langsam erholte. Der Grund für den Sturz, das kann ich im Nachhinein sagen, war die mangelhafte Fähigkeit zur Anpassung an den unebenen Untergrund. Das heißt, die sensorischen Informationen aus den Beinen haben keine sofortige motorische Reaktion der Muskeln ausgelöst, weil die Leitgeschwindigkeit der langen Nervenstränge bereits massiv verlangsamt war. Die Koordinationsstörung war zu dem Zeitpunkt also bereits vorhanden; davon wusste ich zu dem Zeitpunkt aber noch nichts. Eine weitere Verletzung des rechten Knies durch einen Fehltritt aus dem gleichen Grund folgte ein Jahr später und damit wurden die Einschränkungen bei Gehen immer gravierender. Auch sensorische Störungen in den Beinen von Taubheitsgefühlen bis Kribbeln nahmen allmählich zu, genauso wie Störungen des Gleichgewichtssinnes.

Im Alter von 62 Jahren war das Gehen und Stehen bereits so belastend, dass mir klar war, dass ich einen Rollstuhl benötige, denn Gehstock und Rollator konnten das Problem für mich nicht nachhaltig lösen. Meinen ersten Rollstuhl habe ich noch ohne ärztlichen Segen auf eigene Rechnung beschafft, was bei den untersuchenden Ärzten dann offensichtlich einen Stein ins Rollen gebracht hat. In einer Klinik in Wiesbaden bekam ich die Diagnose „Verdacht auf Hereditäre spastische Spinalparaplegie (HSP)“, eine Krankheit, die der Spinozerebellären Ataxie in vielen Symptomen ähnlich ist, und die man auch nicht hundertprozentig voneinander abgrenzen kann. Eine weitere Untersuchung in der Uniklinik Tübingen konnte dank einer genetischen Analyse schließlich die für mich so wichtige Diagnose erbringen. Zu dem Zeitpunkt war ich dann bereits 64 Jahre alt, aber erleichtert darüber zu wissen was mit mir los ist, auch wenn es keine Heilung gibt und dem Wissen, dass die Krankheit weiter langsam zu größeren Einschränkungen führen wird.

Mit meinem derzeitigen Aktivrollstuhl mit kraftverstärkenden Zusatzantrieben kann ich aktiv am Leben, auch außer Haus, teilnehmen. Auch im eigenen Zuhause kann ich immer wieder auf dieses Hilfsmittel zurückgreifen, da es nach wenigen Minuten auf den Beinen immer unerträglicher wird. Ein Treppenlift wurde in unserem Haus bereits installiert; der hilft mir ohne Anstrengung zwischen den Etagen des Hauses unterwegs zu sein.

Im Großen und Ganzen habe ich mich inzwischen mit den körperlichen Einschränkungen arrangiert, zumal ich eben noch wenige Meter im häuslichen Umfeld gehen kann. Auch kann ich meinen Rollstuhl immer noch selbst im Kofferraum meines Autos verstauen, welches ich auch weiterhin noch selbst fahren kann. Mein persönliches Glück ist, dass die Progredienz, also das Fortschreiten der Krankheit sehr langsam von statten geht, und ich auch nicht mit allen Symptomen, die von der SCA inzwischen bekannt sind, belastet bin. So bin ich, inzwischen im 69. Lebensjahr, dankbar für die Lebensqualität die mir trotz der Behinderung geblieben ist.

Es gibt für mich also nichts zu jammern, und ich erwarte auch von niemand Mitleid. Das Einzige, was ich weiterhin bemängele, ist das fehlende Bewusstsein in der Bevölkerung, dass Menschen mit einer Behinderung in allen Bereichen des Lebens selbstverständlich dazu gehören, und dass alle Barrieren im öffentlichen Raum abgebaut gehören, sowie die Zugänglichkeit zu jedem Gebäude für jeden, egal ob mit oder ohne Behinderung, uneingeschränkt möglich ist. Das wird auch immer wieder Thema hier im Blog sein.