Als Rollstuhlfahrer möchte ich hier und heute von meinen Erfahrungen berichten, wie es ist, wenn man als Selbständiger auf einmal nicht mehr als Fußgänger sondern als Rollstuhlfahrer antritt. Ich schreibe dies für alle diejenigen, die wegen einer Erkrankung wie z.B. Multiple Sklerose oder anderer Nervenerkrankungen in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Ich möchte Mut machen, sich der Situation zu stellen und den Einsatz eines Rollstuhles als Chance zu begreifen, weiterhin am beruflichen Leben teilzunehmen, statt sich zurück zu ziehen.
Nun ist es bei mir so, dass ich immer noch aus dem Rollstuhl aufstehen kann und auch kurze Strecken, wenn auch mit erheblichen Einschränkungen, zu Fuß gehen kann. Das erleichtert die Sache für mich ungemein; denn wäre ich zu 100% auf ein barrierefreies Umfeld angewiesen, müsste ich wohl meinen Beruf an den Nagel hängen, und mich nach einer alternativen Beschäftigung umsehen, in der ein entsprechendes Umfeld vorhanden ist. Aber so wie die Dinge stehen, werde ich wohl noch ein paar Jahre meiner bisherigen Tätigkeit als Automatisierungstechniker nachgehen können bis ich das Rentenalter erreicht habe.
Einfach mal zur Erläuterung: Ich benutze seit ca. einem Jahr einen Aktivrollstuhl, weil ich auf Grund einer Spastischen Spinalparalyse, einer sehr seltenen Erkrankung des Rückenmarks, nur noch eingeschränkte Kontrolle über meine Beine habe. Sicheres und zügiges Gehen ist so nicht mehr möglich. So war die Entscheidung für den Rollstuhl zunächst sehr schwer aber letztendlich unumgänglich. Nun hatte ich mir natürlich die Frage gestellt, wie denn das wohl bei meinen Mitmenschen und vor allem bei meinen Kunden ankommt. Aber die Entscheidung einen Aktivrollstuhl anzuschaffen, auch wenn zunächst noch kein Arzt die Notwendigkeit einsehen wollte, duldete für mich keinen Aufschub.
Wenn ich im Vorfeld mit Leuten darüber sprach, hörte ich immer wieder: „Um Himmels willen, ein Rollstuhl, das ist ja furchtbar! Das kannst du doch nicht machen…“. Das war nicht gerade ermutigend, aber heute, seit ich selbstbewusst mit den Tatsachen umgehe, sage ich jedem: „Furchtbar ist höchstens der Grund, dass man eine solche Mobilitätshilfe braucht. Der Rollstuhl selber ist ein wertvolles Hilfsmittel, welches mir ein gutes Stück Mobilität und damit Lebensqualität zurück gibt.“ Und tatsächlich, ist es wunderbar zu erleben, wieder genauso schnell in einem Werks- oder Bürogebäude unterwegs zu sein, wie jemand der eiligen Schrittes dort von A nach B zu Fuß unterwegs ist. Vorher konnte ich schon lange nicht mehr Schritt halten und wurde dadurch zur Belastung für andere, was mir oftmals zu tiefst unangenehm war.
Nun kam also im Herbst 2017 die Stunde der Wahrheit, als ich eine 3-wöchige Inbetriebnahme in einer Glashütte in Polen durchzuführen hatte. Mit dem Bewusstsein, dass ich nicht für’s Laufen sondern für’s Denken bezahlt werde, habe ich am Anfang ein kurzes klärendes Gespräch mit dem zuständigen Abteilungsleiter geführt, der mir daraufhin signalisierte, dass niemand damit ein Problem habe, dass ich nur damit leben muss, dass die Gebäude nicht vollständig barrierefrei seien. Da ich mich mit meiner Teillähmung damit auch nicht vor unlösbaren Problemen sah, stand meinem ersten beruflicher Einsatz im Rollstuhl, dem danach alle weiteren folgten, nichts mehr im Wege. Auch bei den anderen Kunden gab es bislang keine Probleme. Wichtig ist und bleibt, dass ich offen mit meinen Einschränkungen aber auch meinen verbliebenen Möglichkeiten umgehe, und wenn ich mal keine optimalen Bedingungen vorfinde, auch weiterhin fähig und bereit bin, auch wenn’s schwer fällt, ein paar Schritte zu Fuß zu gehen. Niemand wird von mir unmögliches verlangen, denn das Maß an Rücksichtnahme das ich immer wieder erlebe, hat mich sehr angenehm überrascht. Dadurch dass mir nun lange und beschwerliche Wege und häufiges Stehen erspart bleiben, und ich nicht voll konzentriert darauf acht geben muss, nicht zu stolpern und/oder zu stürzen, kann ich mich voll auf meine eigentliche Arbeit fokussieren. Das kommt den Kunden und mir sowie der Arbeitsqualität und der Arbeitssicherheit in gleichem Maße zugute. Und am Ende des Tages geht es mir immer noch gut, während ich in den letzten Jahren davor oftmals Qualen ausgestanden hatte. Somit hat sich der Einsatz des Rollstuhles bei mir sowohl im privaten, wie im beruflichen Leben letztendlich nur positiv ausgewirkt, denn an den Gründen für den Einsatz des Rollis lässt sich, angesichts der Tatsache dass die Krankheit irreversibel ist, leider nichts mehr ändern.
Da ich, das bringt mein Beruf so mit sich, des öfteren auf Reisen bin, ist die Wahl des richtigen Hotels von großer Wichtigkeit. Es gibt im Internet zwar recht leistungsfähige Buchungsportale, die allerdings keine eindeutigen Hinweise darauf liefern, ob ein Hotel rollstuhltauglich oder besser noch barrierefrei ist, eines von vielen Informationsdefiziten mit denen sich Behinderte häufig konfrontiert sehen. Hier bleibt eigene Recherche nicht erspart, und ein Anruf im zu buchenden Hotel bringt schnell Klarheit, und schafft bei den Gesprächspartnern ein Problembewusstsein, was wiederum auch nicht zu unterschätzen ist.
Was ich den mit mir betroffenen, die wegen einer Erkrankung erheblich gehbehindert sind, mit auf den Weg geben möchte: Geht selbstbewusst mit Euren Defiziten aber auch mit den verbliebenen Möglichkeiten um. Versteckt Euch nicht, sondern traut Euch, darüber mit Euren Mitmenschen offen und ohne Scham oder Angst zu kommunizieren. Dankbarkeit für das, was noch ohne Hilfsmittel geht und für das Wiedererlangen an Mobilität und Lebensqualität durch den Rollstuhl, erleichtern den Umgang mit der Behinderung enorm. Je selbstverständlicher man das Leben und Arbeiten im Rollstuhl vertritt, und dabei nicht den Eindruck eines Unglücksraben macht, umso offener begegnen einem die Mitmenschen, und man wird nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt.